Die Rechnung bitte!
Das Verbot von Studiengebühren ist aufgehoben. Nun haben die Bundesländer freie Bahn für die Einführung eines Bezahlstudiums. Für Studierende heißt es ab jetzt: kühl rechnen und genau kalkulieren. Ein Uni-Karriereplaner für angehende Bildungskonsumenten
VON DANIEL ZWICK
Das süße Leben ist vorbei, ab morgen wird fürs Studium gezahlt. Dann heißt es rechnen, was der semesterlange Müßiggang kostet, ob sich Konsumverzicht und Partys bis in die späte Nacht auch lohnen. Das neue Studium kostet Geld, Gebühren, Kapital. Die Hochschulausbildung von morgen ist ein Produkt, ähnlich wie Fruchtquark, Flugreise und Feuerversicherung. Da heißt es kalkulieren, vergleichen, kaufen. StudentInnen können sich kein vergeistigtes Lotterleben mehr leisten. An der Uni werden sie zu KundInnen, zu zahlenden Gästen. Der Student wird zum Bildungskonsumenten. Die wichtigsten Utensilien: Taschenrechner und Zinseszinsformel.
1. Studienplanung
Die Entscheidung für ein Bezahlstudium ist wegweisend für das ganze Leben. Schließlich geht es darum, frühzeitig die Weichen für ein üppiges Einkommen im Berufsleben zu stellen. Optimal ist es daher, wenn sich die Eltern schon vor der Geburt des Studierwilligen Gedanken über dessen spätere Karriere machen. Haben die Erziehungsberechtigten diesen Schritt versäumt, sollte doch spätestens beim Eintritt ins Gymnasium eine Vorentscheidung fallen. Schließlich ist damit die Vorauswahl für die universitäre Laufbahn bestanden. Jetzt sollte sich der Wissenskonsument der Zukunft Gedanken über seine Präferenzen bezüglich des universitären Produkts machen. Gerne werden ihm die Universitätskonzerne dabei hilfreich zur Seite stehen. Die Marketingabteilungen versenden bereitwillig Infomaterial. Tage der offenen Tür werden zu Werbeverkaufsveranstaltungen. Auch Marken wie Universität Mannheim oder TU Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig üben ihren Reiz auf Studierwillige aus.
Tipp: Immer nach der Preisliste fragen, oder einen Kostenvoranschlag zusenden lassen! Der Studienanbieter sollte darin detailliert alle Gebühren als Bruttopreise aufführen. Misstrauisch machen sollten Auskünfte wie: "Wir sind immer noch billiger als Osnabrück."
2. Entscheidung
Hier ist die hohe Kunst der Kosten-Nutzen-Rechnung gefragt. Zunächst sollten die Kosten aller Studienalternativen errechnet werden. Soll es ein Gratis-Bachelor in Germanistik an der Uni Mainz sein? Oder lieber ein VWL-Master in Heidelberg für 600 Euro pro Semester? Zusätzlich kompliziert wird es für Studienanfänger, die von ihrem Bundesland ein Studienkonto erhalten: Reichen die Gratissemester für ein ganzes Orthopädenstudium? Oder geht kurz nach dem Abschluss als Allgemeinarzt das Geld aus? Bei solchen und anderen Fragen können spezialisierte Finanzberater helfen. Auch Unternehmensberatungen und die Stiftung Warentest geben wertvolle Hinweise. Sicher ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich der große Gebührenvergleich auf
www.billiger-studieren.de findet.
Tipp: Geiz ist beim Studium nicht immer geil! Ein Billigstudium an der Gratis-Uni Koblenz-Landau kann - über die gesamte Lebenszeit gerechnet - sogar teurer kommen als die Eliteausbildung in Würzburg. Deswegen unbedingt die Gesamtkosten mit dem späteren Gehalt vergleichen! Statistiken über die Gehälter der Absolventen stellen die Marketingabteilungen guter Unis gerne zur Verfügung.
3. Finanzierung
Auf den Bezahlstudenten kommt jetzt die erste wirklich komplizierte Entscheidung zu. Glück hat, wer an seiner Seite die Bank seines Vertrauens oder zumindest die Hausbank der Uni weiß. An der FH Leipzig und der privaten Zeppelin-Uni Friedrichshafen stehen schon jetzt die örtlichen Sparkassen bereit, um StudentInnen der Eliteinstitute finanziell unter die Arme zu greifen. In anderen Städten wird sich die Branche der Bildungsfinanzierer rasch entwickeln. Daneben gibt es noch die interessanten Angebote der KfW-Mittelstands- und Förderbank, die Bundeskohle und Sicherheit verspricht. Optimal ist hier, wenn die Eltern schon vor der Geburt einen Uni-Sparplan mit einem der großen Bildungsfinanzierer abgeschlossen haben. Auch die klassische Semesterüberweisung von Omi verringert den Studienstress in diesem Abschnitt des Bildungswegs.
Tipp: Wer sich mit Geld nicht auskennt, sollte sich beraten lassen! Am besten von jemandem, der keine Kredite verkauft. Wichtig sind vor allem die Details der späteren Abzahlung des Bildungskredits: Gleich nach dem Abschluss zahlen, oder später? Können spätere Großverdiener den Kredit auf einen Schlag abzahlen? Nimmt die Bank statt Geld auch Aktien des eigenen Start-ups als Rückzahlung?
4. Studium
Jetzt endlich beginnt der Wettlauf gegen die Schuldenuhr. Disziplin und Ordnung sind in dieser Phase angesagt. Wer sich mit finanziellen Argumenten motivieren mag, kann die Semestergebühren auf einzelne Veranstaltungen umrechnen. Je nach Höhe der Gebühr kann eine einzelne Vorlesung teurer werden als ein Kinobesuch. Wer im Halbjahr fünf Seminare à zehn Stunden belegt, zahlt für die einzelne Veranstaltung mitunter mehr als zehn Euro. Das entspricht drei bis vier Mittagessen in der Mensa oder zwei Theaterkarten mit Studentenrabatt. Angesichts dieser Kosten ist klar: Das Di-Mi-Do-Studium ist nur noch für Prasser geeignet. Nur Wohlstandskinder können es sich noch leisten, im Semester nur zwei oder drei Veranstaltungen zu belegen.
Tipp: So viel Studium wie möglich zusammenraffen fürs Geld! Bezahlt ist bezahlt. Wer an vorlesungsfreien Tagen schon frühmorgens in der Bibliothek sitzt, nutzt die Gebühr optimal aus. Früh aufstehen lohnt sich ohnehin: In den leeren Morgenveranstaltungen können Bezahlstudenten zwei Plätze belegen und alle Kopien doppelt mitnehmen. Das steigert den Mehrwert der Ausbildung.
5. Examen
Jetzt nicht die Nerven verlieren! Pausen und Motivationslöcher sind in diesem Abschnitt des Bezahlstudiums fehl am Platz. Das Schuldenkonto dürfte schon einen stattlichen Betrag aufweisen, davon sollte sich der Kandidat aber auf keinen Fall irritieren lassen. Clevere Bezahlstudenten wissen: Geschwindigkeit zahlt sich nun erst recht aus. Studenten mit Studienkonten müssen jetzt besonders darauf achten, wie viele Gratissemester Ihnen noch bleiben. Wenn die Freisemester nicht mehr reichen, vermischen sich jetzt Examens- und Finanzierungsphase. Eine unschöne Situation, die auf Fehler oder falsche Beratung in der Entscheidungsphase zurückzuführen sind.
Tipp: Nicht nur früh aufstehen, sondern auch lang aufbleiben! Examenskandidaten sollten möglichst die ganze Nacht durch lernen. Dann klappt es auch mit der Finanzierung. Hakt der Finanzplan trotzdem, lohnt es sich, seine Berater zu verklagen. Finanzberater aus den USA oder ein früheres Auslandssemester in Berkeley erleichtern die Klage. Am besten das entgangene Lebenseinkommen plus Entschädigung fordern.
6. Berufseinstieg
Endlich zahlt sich alles aus. Beziehungsweise zurück. In dieser Phase ja nicht das Tempo verlieren. Denn monatlich muss eine satte Rate Gebührenschulden zurück an die Bank fließen. Bezahlstudenten sollten daher Berufe wählen, die optimal zu ihren Rückzahlungsmodalitäten passen. Wer weiter in den Genuss von verbilligten Theaterkarten kommen will, sollte sich jetzt nach einer Uni für sein Pro-forma-Zweitstudium umsehen. Die Auswahl dafür wird zunehmend dünner. Aber an der Fernuni Hagen im gebührenfeindlichen SPD-Land Nordrhein-Westfalen werden die Karteileichen wohl schon noch ein Kärtchen bekommen. Denn nicht jedes Bundesland wird in den Wettlauf um Gebühren, Elite und Studienkonten einsteigen.
Tipp: Selbstverwirklichung ist hier fehl am Platz! Was zählt, ist die Höhe des Einkommens! Aber das haben die Studierenden ja schon an der Uni gelernt. Für Rabattjäger lohnt sich jetzt die Suche nach Gratis-Unis in der zweiten Bildungsliga. Aber Vorsicht: Den Rabattausweis nur an der Theaterkasse zeigen!
taz Nr. 7575 vom 27.1.2005, Seite 13, 229 TAZ-Bericht DANIEL ZWICK
https://www.taz.de/pt/2005/01/27/a0148.nf/text.ges,1