Bahnstreik - Grundsatz der Tarifeinheit

Dr Franke Ghostwriter
Bahnstreik - Grundsatz der Tarifeinheit

Aktenzeichen: 13 Ga 65/07

Einstweilige Verfügung

B e s c h l u s s :

1. Der Antragsgegnerin wird es untersagt, ihre Mitglieder und sonstige Arbeitnehmer der Antragstellerinnen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens in der 1. Instanz, längstens bis zum 30.9.2007, zu Streiks aufzurufen und/oder Streiks in den Betrieben der Antragstellerinnen durchzuführen, um den Abschluss eines eigenständigen Tarifvertrages mit den in Anlage ASt 20 genannten Inhalten durchzusetzen.

2. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von EURO 250.000,00 (i. W. zweihundertfünfzigtausend), ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an ihren Bundesvorsitzenden, angedroht.

3. Die Zustellung der gerichtlichen Entscheidung wird auch zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen gestattet.

4. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

G r ü n d e :

Der Streik ist vorläufig zu untersagen.
Das Gericht hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angekündigten Streiks. Zur Begründung wird insoweit auf die Antragsschrift verwiesen. Die Zweifel konnten durch die eingereichte Schutzschrift der Antragsgegnerin nicht ausgeräumt werden. Durch den Streik drohen nicht nur den Antragstellern, sondern der gesamten Volkswirtschaft insbesondere in der Hauptreisezeit immense wirtschaftliche Schäden. Ein mögliches Streikrecht der Antragsgegnerin wird durch die vorläufige Untersagung nur befristet eingeschränkt. Im Rahmen einer Gesamtabwägung ist diese Einschränkung angesichts der irreversiblen Folgen derzeit eher hinzunehmen als einen möglicherweise rechtswidrigen Streik zuzulassen.
Da der Streik bereits am 09.08.2007, 0.00 Uhr beginnen soll, konnte eine mündliche Verhandlung nicht mehr durchgeführt werden (§§ 62 Abs. 2 Seite 2, 53 Abs. 1 ArbGG).
 
Kann jemand, der sich schon mit kollektivem Arbeitsrecht auskennt erläutern, wo der Problemkern im aktuellen Streit liegt ?
  • Die Gewerkschaften sehen schon das Streikrecht in Gefahr.
  • Prof. Dr. Ulrich Preis sagte heute Morgen im Frühstücksfernsehen, das BAG würde in ständiger Rechtsprechung Streiks zulassen, wenn die Verhandlungen als gescheitert erklärt wurden, weil es sonst Streikzensur betreiben würde. Die Tarifeinheit hält er für ein nicht mehr zeitgemäßes Relikt aus den Anfangsjahren der BRD.
  • Das AG Nürnberg sieht das Streikrecht dagegen nur vorübergehend eingeschränkt und hält die Einschränkung wegen der drohenden immensen Schäden für gerechtfertigt. Wenn Ende September über den Streit entscheiden ist, kann die GDL immer noch streiken. Würde der Streik dann für rechtmäßig erklärt, wäre ein wesentlich geringerer Schaden eingetreten, als wenn jetzt gestreikt würde und sich der Streik anschließend als unrechtmäßig heruasstellte.
Die Piloten haben doch auch einen eigenen Tarifvertrag neben den Stewardessen. Warum soll das den Lokführern verwehrt sein ?


Es gibt also offensichtlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Streiks für einen eigenen Tarifvertrag mit der GDL. Dennoch bestreikt die GDL nun die S-Bahnen in hamburg und Berlin. Wenn sich nun im September herausstellt, daß der Streik rechtswidrig war - hat das irgend welche Konsequenzen für die GDL, ist sie dann Schadensersatzansprüchen ausgesetzt - immerhin wurde ihr vom AG Nürnberg schriftlich bescheinigt, daß ernsthafte zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Streiks bestehen - andererseits wurde das Bestreiken der S-Bahnen offensichtlich nciht untersagt ... ?
 
Die Gewerkschaften sehen schon das Streikrecht in Gefahr.

Prof. Dr. Ulrich Preis sagte heute Morgen im Frühstücksfernsehen, das BAG würde in ständiger Rechtsprechung Streiks zulassen, wenn die Verhandlungen als gescheitert erklärt wurden, weil es sonst Streikzensur betreiben würde. Die Tarifeinheit hält er für ein nicht mehr zeitgemäßes Relikt aus den Anfangsjahren der BRD.

Das AG Nürnberg sieht das Streikrecht dagegen nur vorübergehend eingeschränkt und hält die Einschränkung wegen der drohenden immensen Schäden für gerechtfertigt. Wenn Ende September über den Streit entscheiden ist, kann die GDL immer noch streiken. Würde der Streik dann für rechtmäßig erklärt, wäre ein wesentlich geringerer Schaden eingetreten, als wenn jetzt gestreikt würde und sich der Streik anschließend als unrechtmäßig heruasstellte.
Die Piloten haben doch auch einen eigenen Tarifvertrag neben den Stewardessen. Warum soll das den Lokführern verwehrt sein ?

Es gibt also offensichtlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Streiks für einen eigenen Tarifvertrag mit der GDL. Dennoch bestreikt die GDL nun die S-Bahnen in hamburg und Berlin.

"Die Gewerkschaften sehen schon das Streikrecht in Gefahr."

Ist es natürlich nicht -wie viele Grundrechte auch ist auch das Streikrecht beschränkt - das Streikrecht ist genausowenig in Gefahr wie es sich bei dem Anrufen eines Gerichts seitens der Bahn um "Prozesshanselei" handelt, denn jeder das grundrechtsgleiche Recht auf gerichtliches Gehör.

Prof. Dr. Ulrich Preis sagte heute Morgen im Frühstücksfernsehen, das BAG würde in ständiger Rechtsprechung Streiks zulassen, wenn die Verhandlungen als gescheitert erklärt wurden, weil es sonst Streikzensur betreiben würde. Die Tarifeinheit hält er für ein nicht mehr zeitgemäßes Relikt aus den Anfangsjahren der BRD.
Das AG Nürnberg sieht das Streikrecht dagegen nur vorübergehend eingeschränkt und hält die Einschränkung wegen der drohenden immensen Schäden für gerechtfertigt. Wenn Ende September über den Streit entscheiden ist, kann die GDL immer noch streiken. Würde der Streik dann für rechtmäßig erklärt, wäre ein wesentlich geringerer Schaden eingetreten, als wenn jetzt gestreikt würde und sich der Streik anschließend als unrechtmäßig heruasstellte.

Gerade eben -so ca. 11.30 strahlte N24 ein Interview mit Prof. Ruppert Scholz - einem anerkannten Verfassungsrechtler aus. Er erklärte die Situation m.E. auch recht anschaulich:

Zu bedenken ist demnach das jeder Streik sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen muss (wie fast jedes Grundrecht gilt die Tarifautonomie und damit das Streikrecht nicht unbeschränkt). Gerade im Bereich der Daseinsvorsorge durch den Massenverkehr sind hier strenge Maßstäbe anzulegen. Problematisch ist also das durch die Verwirklichung des Rechts der anderen die Rechtsgüter der anderen - man denke nur an die Pendler heute in Berlin - stark beschnitten werden. Er sprach sich also für die Entscheidung des Nürnberger Gerichts aus.

Dies zeigt einmal mehr die Weisheit des alten Spruchs: "2 Juristen - 3 Meinungen"

Wenn sich nun im September herausstellt, daß der Streik rechtswidrig war - hat das irgend welche Konsequenzen für die GDL, ist sie dann Schadensersatzansprüchen ausgesetzt - immerhin wurde ihr vom AG Nürnberg schriftlich bescheinigt, daß ernsthafte zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Streiks bestehen - andererseits wurde das Bestreiken der S-Bahnen offensichtlich nciht untersagt ... ?

Na klar - problematisch wird für den Geschädigten nur die Darlegungs- und Beweislast sein.

Hier ist z.b. ein klassisches Problem des § 823 I versteckt, nämlich die Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das aus Art 12 GG hergeleitet wird, als "sonstiges (eigentumsähnliches) Recht". Erforderlich ist hier aber ein betriebsbezogener Eingriff, der unmittelbar auf diesen Betrieb gerichtet war, dies ist im Rahmen einer Güterabwägung festzustellen - dürfte also für Unternehmen die sich auf Just-In_Time_Produktion spezialisiert haben in Frage kommen, sofern üterzüge bestreitk werden....

Der Arbeitnehmer selbst kann aber wegen des S-Bahn-streiks keinen Schadensersatz verlangen, denn er trägt das Wegerisiko.

Die Piloten haben doch auch einen eigenen Tarifvertrag neben den Stewardessen. Warum soll das den Lokführern verwehrt sein ?

Verwehrt ist es ihnen ja nicht - nur liegt es in der Autonomie der Beteiligten ob sie tatsächlich einen eigenen Vertrag i.o.S. bekommen

Allgemein muss man leider sagen das Streiks in der Form eher die Bevölkerung "bestrafen" als die Arbeitgeber - und wohl wirklich einer sozialistischen Traumwelt angehören. (um etwas polemisch zu schließen 🙂)
 
Aktenzeichen: 13 Ga 65/07


G r ü n d e :

(...)
Das Gericht hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angekündigten Streiks. Zur Begründung wird insoweit auf die Antragsschrift verwiesen. Die Zweifel konnten durch die eingereichte Schutzschrift der Antragsgegnerin nicht ausgeräumt werden.

Auf welche Gründe beruft sich die Bahn sich konkret ?


Der Streik wurde ja nicht primär deswegen einstweilig untersagt, weil der drohende Schaden sehr hoch sein könnte, sondern das Gericht hatte wohl schwerwiegende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Streiks und entschied sich wegen dieser Zweifel dafür, den Streik zur Schadensvermeidung lieber erst einmal zu "verschieben", bis das juristische Problem sorgfältig abgewogen und gelöst werden konnte. Wenn sich dann herausstellt, daß ein Streik mit diesen Zielen rechtmäßig ist, dann kann immer noch gestreikt werden. Ginge es "nur" um die zu erwartenden hohen Schäden, dann müssten künftig viele Streiks untersagt werden.

Aber weshalb soll gerade dieser Streik rechtswidrig sein ? Geht es um das Problem der Tarifpluralität ?

Die h.L. will den Fall der Tarifpluralität - in einem Betrieb sind sowohl der Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer an mehrere Tarifverträge gebunden, weil es mehrere Gewerkschaften gibt, die gleiche räumliche und fachliche Geltung beanspruchen - derart lösen, daß für jeden organisierten Arbeitnehmer jeweils der Tarifvertrag gilt, der von seiner Gewerkschaft geschlossen wurde. Die h.L. hält also die gleichzeitige Anwendbarkeit mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb für zulässig.

Das BAG dagegen scheint der Ansicht zu sein, daß wegen des Grundsatzes der Tarifeinheit in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag Anwendung finden könne. Enthalten die Tarifverträge keine tarifliche Kollisionsregel, so müsse der speziellere Tarifvertrag den allgemeineren verdrängen (z.B. TV A gilt für Lokführer - TV B für Schaffner). Exisitiere kein speziellerer TV (TV A und TV B gelten für Schaffner und für Lokführer), so käme es darauf an, welcher TV mehr Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasse.

Am Beispiel der Deutschen Bahn würde das bedeuten, daß der Streik deswegen rechtswidrig sein könnte, weil das Ziel der GDL, neben den bereits exisiterenden Tarifverträgen der beiden anderen Gewerkschaften einen eigenen Tarifvertrag für die "bereits bediente Klientel" zu schließen, nicht zulässig ist.

Ich kenn mich mit Tarifrecht nicht aus - habe nur gerade über dieses Problem etwas gelesen ...

Allerdings hielte ich diese Argumentation für komisch, da es den angestrebten TV eben noch gar nicht gibt. Warum soll die GDL nicht eine solche Kollisionsklausel aushandeln ?

Bezöge sich das Gericht aber auf die 31% Gehaltserhöhung, so griffe es doch in die Tarifautonomie ein. Es ist schlicht Sache der Tarifpartner, zu einem "angemessenen" Ergebnis zu kommen. Und selbst die Entscheidung, ob Lokführer künftig einen - gut von den bereits existierenden TV abgegrenzten - eigenen TV haben sollen, ist doch eine Sache, die unter den Tarifparteien auszuhandeln ist. Ein Gericht könnte höchstens argumentieren, ein Streik sei rechtswidrig, weil die Zeit für "das letzte Mittel" noch nicht gekommen sei, da noch andere, ebenso wirksame Mittel zur Verfügung stehen, die aber weniger gravierende "Nebenwirkungen" zeigen, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Daß das beim aktuellen Bahnstreik der Fall sein könnte, dafür spricht, daß die Streithähne sich erst noch "über" einen Mediator miteinander unterhalten könnten, statt gleich zur Hauptreisezeit ordentlich zu streiken ... . Dagegen spricht, daß die Verhandlungen nun mal schon recht lange festsitzen, durch das Verschulden welcher Seite auch immer, mithin die Verhandlungen "gescheitert sind". Das galt bislang als Indiz dafür, daß ein Streik angemessen ist.

Aber ist es Sache der Gerichte, den Tarifparteien vorzuschreiben, auf welchem Weg sie sich zu einigen haben ? Normalerweise klappt das doch auch ohne gerichtliche Anordnungen ganz gut - der "kleine" Streik der S-Bahnen heute hat z.B. bereits gewirkt: Die Hähne verhandeln plötzlich wieder - nicht wegen der Verfügung, sondern wegen des Streiks ... - und es war ja auch nicht geplant, auf einen Schlag die ganze Republik zu blockieren, Streiks sind doch normalerweise ganz gut dosiert und beginnen mit kleinen Nadelstichen.

Ist halt hier eine dumme Situation, daß vergleichsweise wenige Lokführer die Macht haben, durch eine Blockade so viel Schaden anzurichten ...

Aber würde man den Lohführern den Streik mit dem Argument verbieten, er wäre unverhältnismäßig, weil der zu befürchtende Schaden so hoch sei, dann würde man ihnen de facto das Streikrecht verwehren - denn die Lokführer verrichten ihre Tätigkeit nun mal an der Stelle, wo im Fall einer Störung viele Menschen involviert sind. Streiken können sie aber nur genau dort, wo sie eben ihre Tätigkeit ausführen und nicht etwa irgend wo anders, wo die Gesellschaft weniger fragil ist.

Und daß die 31%-Forderung am Ende nicht bei rauskommt, dürfte eh klar sein. Und selbst wenn, dann würde sie auf der Entscheidung beider Parteien beruhen, die das Gericht ebenfalls zu respektieren hat - und zwar hier bereits im Voraus.

Deswegen scheint mir die plausibelste Erklärung des Verbots dieser Tarifeinheitsgrundsatz zu sein - wer weiß natürlich schon, was sonst noch so in den Anträgen steht.
 
Oben