EZB - Leitzins und Inflation

Dr Franke Ghostwriter
EZB - Leitzins und Inflation

Hallo,
ich habe zwar meinen Makro - Kurs schon hinter mir, verstehe jedoch immer noch nicht so recht, warum ein niedriger Leitzins die Inflation anheizt.
Das ein hoher Leitzins die Gefahr einer Rezession wachsen lässt, da die Investitionskosten steigen, ist mir klar.

Ich wollte das gerne mal zur Diskussion stellen
 
Zuerstmal kannst Du dein Problem mit den Makromodellen des Grundstudiums nicht darstellen, weil der Zins da endogen ist. Geldpolitik wird in diesen Modellen durch eine Änderung der Geldmenge M bewerkstelligt.

Eine solche Steuerung ist aber in der Praxis nicht möglich, weil die EZB nur Zentralbankgeld bereitstellen kann. In gewissem Maße müssen die Geschäftsbanken das auch nachfragen: erstens brauchen sie ja Bargeld und zweitens müssen sie eine Mindestreserve bei der EZB halten. Darüber hinaus kann die EZB die Geschäftsbanken aber nicht zwingen, Zentralbankgeld nachzufragen. Die Geldmengenaggregate M1-M3 bestehen aus jeder Menge anderen geldähnlichen Wertpapieren, mit deren Entstehung die Zentralbank aber auch gar nichts zu tun hat.

Das zweite Problem mit den GS-Modellen ist, dass sie statisch sind. Du kannst zwar über eine Änderung der Geldmenge eine Änderung des Preises erreichen, aber das ist eine einmalige Änderung. Inflation bedeutet aber ein dauerhaftes (!) Ansteigen des Preisniveaus.

Warum kann nun eine Leitzinssenkung möglicherweise Inflation begünstigen? Es gibt eine ganze Reihe möglicher Erklärungen. In der Praxis ist es wohl so, dass eine Zinssenkung als Signal verstanden wird, dass die Zentralbank eine lockerere Geldpolitik betreibt. Das ist ganz einleuchtend: zum Beispiel wird die Kreditvergabe der Banken einfacher, weil sie sich wegen der sinkenden Zinsen billiger refinanzieren können. Wenn aber mehr Leute an (geliehenes) Geld kommen, steigt die Geldmenge – und damit die Preise.

Hinzu kommt, dass das Signal der Zentralbank natürlich auch zur Erwartungsbildung genutzt wird. Wenn ich nun also weiß: lockere Geldpolitik = steigende Preise, erwarte ich also eine höhere Inflation. Die Inflationserwartung führt nun aber auch zu tatsächlicher Inflation – z.B. weil die Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen entsprechend höhere Löhne verlangen. Diese werden dann vielleicht wieder auf den Güterpreis aufgeschlagen usw.

So kann – wohlbemerkt: kann – ein geringerer Zins zu Inflation führen. Die Schwierigkeit der EZB ist, dass noch eine Menge anderer Faktoren hereinspielen, z.B. die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, die sich durch Innovationen (Geldkarte) ständig verändert.

Der Zusammenhang ist deshalb auch eher locker: in Spanien gab es in den vergangenen Jahren eine höhere Inflation als in Deutschland, obwohl beide Länder zur Eurozone gehören – und mithin den gleichen Leitzins haben. Eine Erklärung: in Spanien gab es eine Immobilienblase, die Grundstücke stark verteuert hat. In Deutschland gab es das nicht.

In Deutschland wird aber in der Berichterstattung trotzdem immer auf diesen Zusammenhang hingewiesen, weil die Inflationsaversion hier historisch bedingt extrem hoch ist.

Wenn Du das detaillierter wissen willst: ein gut verständliches Lehrbuch ist "Europäische Geldpolitik" von Görgens u.a.
 
Ah, soweit habe ich alles verstanden. Ist es denn nun auch empirisch so, dass in Europa mit einer Leitzinssenkung eine größere Geldbasis zur Verfügung gestellt wird??? Ist denn überhaupt eine Vergrößerung der Geldbasis gleichbedeutend mit einer Auflockerung der Geldpolitik?
 
Ja und nein. Die Geldbasis ist ja das Bargeld und so genanntes Zentralbankgeld. Das stellt die EZB den Geschäftsbanken regelmäßig leihweise zur Verfügung (das Geld wird versteigert, in so genannten Tendern). Die Geschäftsbanken zahlen dafür Zinsen und hinterlegen Sicherheiten.

Wenn die Laufzeit eines solchen Leihgeschäfts zu Ende ist, müssen die Geschäftsbanken das Zentralbankgeld zurückgeben. Die EZB kann entscheiden, ob sie dieselbe Geldmenge wieder ausgibt, ob ob sie die Summe des zu versteigernden Geldes erhöht oder senkt.

Aber: die Geldbasis ist nur ein sehr geringer Teil des tatsächlich umlaufenden Geldes. Z.B. kann eine Bank ja einer anderen Bank selber Geld leihen, gegen eine Sicherheit und zu bestimmten Konditionen. Dieser Interbankenmarkt ist in der Regel sehr groß, viel größer als die Geschäfte, die mit Beteiligung der EZB laufen. Nur zurzeit ist das nicht so: da leihen sich die Banken kein Geld. Wenn man also liest, dass eine Zentralbank 100 Milliarden Euro in den Markt "pumpt", dann ist das Zentralbankgeld aus der Geldbasis, dass nur im Computer existiert und den darniederliegenden Interbankenmarkt "ersetzt".

Also: die Steuerung der Geldpolitik läuft nicht über die Höhe der Geldbasis, sondern über die Höhe des Leitzinses. Und auch dabei beschränkt sich die Macht der EZB im Wesentlichen auf Signale, die sie geben kann. Beispiel gestern: die EZB senkt den Leitzins um 50 Basispunkte (=0,5%-Punkte). Normalerweise ist das für die EZB ein Riesenschritt, der eine entsprechende Reaktion zur Folge hätte. Die unterblieben aber, weil die Bank of England den Leitzins gleichzeitig um 150 Basispunkte gesenkt hat. Plötzlich kam den Leuten der Schritt der EZB zaghaft vor.
 
Und zum Thema aus dem aktuellen Gutachten der Wirtschaftsweisen:

Sehr unwahrscheinlich ist zudem ein starker Anstieg der Inflation, der in der Öffentlichkeit bisweilen mit den Stützungsmaßnahmen der Notenbanken in Verbindung gebracht wird. Zwar trifft es zu, dass Zentralbanken den Banken sehr viel zusätzliche Liquidität bereitgestellt haben. Damit ersetzten sie aber lediglich Kreisläufe, die unter normalen Verhältnissen zwischen Finanzinstituten fließen. Tatsächlich hat die Geldmenge, die von Haushalten und Unternehmen bei Banken gehalten und der langfristig ein Zusammenhang zur Inflation zugeschrieben wird, in den letzten Monaten sogar weniger stark zugenommen als in der Phase vor der aktuellen Finanzkrise.
 
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